Die Massenentlassungsanzeige – Warten auf Antworten

BAG, Beschluss vom 01.02.2024 – 2 AS 22/23

Anfang des Jahres haben wir bereits zum Vorlagebeschluss des 6. Senats beim 2. Senat des BAG hinsichtlich einer geplanten Rechtsprechungsänderung im Bereich des Massenentlassungsrechts berichtet. Der 2. Senat hat nun Antworten geliefert – oder doch nicht?

Zur Erinnerung: Ausgangslage nach Vorlagebeschluss des 6. Senats

Nach Ansicht des 6. Senats sollen Ver­stö­ße gegen § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG künf­tig nicht mehr zur Un­wirk­sam­keit der Kün­di­gung füh­ren. Da dies im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des 2. Senats steht, wurde das anhängige Verfahren beim 6. Senat ausgesetzt und eine Divergenz-Anfrage nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG in die Wege geleitet. Nur bei Zustimmung des 2. Senats kann es zur Rechtsprechungsänderung kommen. Ansonsten ist der Große Senat nach § 45 Abs. 2 ArbGG anzurufen.

Entscheidung des 2. Senats

Noch liefert der 2. Senat keine Antwort auf die Frage, ob die fehlende Massenentlassungsanzeige weiterhin zur Unwirksamkeit der Kündigung führen soll oder nicht. Stattdessen wurde das Anfrageverfahren ausgesetzt und der EuGH ersucht, Fragen zur Auslegung der Richtlinie zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen zu beantworten.

Der 2. Senat möchte dabei wissen, ob

  • die Wirksamkeit einer Kündigung nicht nur die Massenentlassungsanzeige, sondern auch die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben diesbezüglich voraussetzt,
  • der Arbeitgeber die fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nachholen kann und
  • die Entscheidung über die Wirksamkeit der Maßnahmen nach nationalem Recht der zuständigen Behörde zukommen kann oder zwingend ein gerichtliches Verfahren gewährleistet sein muss.

In der Begründung des Vorlagebeschlusses deutet der 2. Senat an, dass er sich der Ansicht des 6. Senats anschließen möchte und es in Übereinstimmung mit diesem für möglich hält, dass die Nichtigkeit der Kündigung bei fehlender oder fehlerhafter Massenentlassungsanzeige eine unverhältnismäßige Rechtsfolge darstellt. Gleichzeitig äußert der 2. Senat allerdings auch Bedenken, ob das daraus resultierende Ergebnis, dass das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit einer nach Unionsrecht oder nationalem Recht erforderlichen Massenentlassungsanzeige keinerlei rechtlichen Einfluss auf die Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses hat, mit Unionsrecht noch vereinbar ist. Die bisherigen Entscheidungen des EuGH zur Massenentlassungsanzeige und der Auswirkung auf die individuellen Kündigungen reichen zur Beantwortung der Fragen nach Ansicht des 2. Senats nämlich bis dato nicht aus.

Fazit

Damit geht das Warten weiter. Die erhofften Erleichterungen und infolgedessen mehr Sicherheit bei Massenentlassungen, die zumindest nach Rechtsprechung des 6. Senats gegeben wäre, werden nicht so schnell kommen. Arbeitsrechtskreise hatten mit Spannung die Entscheidung des 2. Senats erwartet und müssen sich nun erneut in Geduld üben. Als nächstes hat der EuGH zu entscheiden. Auf Grundlage dessen ist dann erneut der 2. Senat an der Reihe. Erst danach wird es (hoffentlich) eine Antwort darauf geben, ob die fehlende oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige weiterhin zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Zwar besteht Hoffnung angesichts der zustimmenden Aussagen des 2. Senats hinsichtlich der Ansichten des 6. Senats. Das letzte Wort ist jedoch noch nicht gesprochen. Solange sind weiterhin alle Vorgaben zur Massenentlassungsanzeige akribisch einzuhalten, um die Unwirksamkeit etwaiger Kündigungen zu verhindern.

Autorin

Dr. Kerstin Reiserer - RBL - Reiserer Baade Lachmann Arbeitsrecht
Dr. Kerstin Reiserer