Auf den ersten Blick scheint die Pflicht zur Verhandlung des Interessenausgleichs vergleichsweise harmlos, denn der Betriebsrat kann seine Wunschposition nicht durchsetzen, die Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers hat Vorrang. Und dennoch haben die Verhandlungen zum Interessenausgleich Sprengkraft. Denn solange die Verhandlungen nicht zum Ergebnis geführt haben oder der Versuch endgültig gescheitert ist, kann die Maßnahme, also die Betriebsänderung, nicht gestartet werden. Und das heißt, dass Kündigungen nicht ausgesprochen werden dürfen, dass Maschinen noch nicht verlagert werden dürfen, und dass auch sonstige Maßnahmen von Arbeitgebern nicht vorgenommen werden dürfen. Und um dies sicherzustellen, hat der Betriebsrat die Möglichkeit, all dies im Wege einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gerichtlich durchzusetzen.
Aber was heißt nun, abschließender Versuch der Verhandlungen des Interessenausgleichs? Der Gesetzgeber hat dies nicht klar geregelt, aber das Bundesarbeitsgericht hat eine klare Haltung dazu. Der Versuch, einen Interessensausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu finden ist erst dann erfolglos abgeschlossen, wenn dies in bilateralen Verhandlungen nicht klappt und wenn auch im Rahmen einer Einigungsstelle keine Einigung erzielt wird.
Im Einzelnen:
- Die erste Frage ist, wo es diese Einigungsstelle überhaupt gibt? Diese Frage lässt sich noch leicht beantworten. Es gibt sie nicht, sie muss eingerichtet werden. Dies geschieht dadurch, dass entweder Betriebsrat oder Arbeitgeber die Verhandlungen zum Interessenausgleich und/oder Sozialplan für gescheitert erklären und in einem Brief an den Gegner die Einrichtung der Einigungsstelle fordern. Hierbei wird ein Einigungsstellenvorsitzender vorgeschlagen und die Anzahl der sogenannten „Beisitzer“, also Betriebsratsmitglieder auf einer Seite und Mitglieder des Unternehmens auf der anderen Seite. Und da sich natürlich auch hierüber wunderbar streiten lässt, vor allem über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden, gibt es ein gerichtliches Verfahren zur Besetzung der Einigungsstelle, wenn Betriebsrat und Arbeitgeber zu keinem Konsens kommen.
- Bei den Interessensausgleichsgesprächen in der Einigungsstelle – wir wiederholen uns – geht es um den Versuch einer Einigung. Sehr häufig wird es diese Einigung nicht geben. Denn Betriebsräte stimmen ungerne geplanten Entlassungen zu, die sie in der Regel vermeiden möchten. Wenn dieses Scheitern der Gespräche dann durch Spruch des Einigungsstellenvorsitzenden festgestellt ist, ist die Bühne frei. Der Arbeitgeber kann die Maßnahme einleiten, kann Kündigungen aussprechen bzw. die Mitarbeitenden zustellen und auch die sonstigen Maßnahmen wie Maschinenverlagerungen oder andere wirtschaftliche Schritte starten.
- Wir bleiben beim Interessenausgleich: Die Detailschilderungen zum Interessenausgleich und zur Einigungsstelle zeigen, dass viel Zeit ins Land gehen kann, bis hier endlich eine Basis für den Unternehmer gefunden ist, aus der heraus er handeln, also die Kündigungen auf den Weg bringen kann. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass Betriebsräte regelmäßig kein Interesse an einem schnellen Fortgang der Verhandlungen und einer engen Terminierung haben, Arbeitgeber dagegen regelmäßig schon. Besonders prekär ist die Situation des Unternehmers, da er vor erfolgloser Beendigung der Einigungsstelle – oder natürlich vor Unterzeichnung eines Interessenausgleichs – und damit einer Einigung mit dem Betriebsrat, nicht handeln kann. Wenn er es doch tut, kann der Betriebsrat dies mit einstweiliger Unterlassungsverfügung durch das Arbeitsgericht verbieten lassen. Da jeder Monat weiterer Beschäftigung und vor allem Vergütung der zu entlassenden Mitarbeitenden in die Kalkulation eingreift, entsteht hier enormes Verhandlungspotenzial.
Wie es weitergeht mit Interessenausgleich, Einigungsstelle und vor allem Sozialplan, sei dem nächsten Beitrag vorbehalten.