Schwerbehindertenschutz während der Probezeit

ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23

Die Probezeit ist ein wesentlicher Bestandteil vieler Arbeitsverhältnisse. Sie dient dazu, sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, sich gegenseitig kennenzulernen und zu entscheiden, ob die Zusammenarbeit für beide Seiten zufriedenstellend ist. Es handelt sich um eine Art „unverbindliche“ Erprobung. Nach einem aktuellen Urteil des Arbeitsgerichts Köln könnte mit der Unverbindlichkeit allerdings im Falle der Schwerbehinderung bald Schluss sein.

Sachverhalt

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer war seit dem 1.1.2023 bei einer Kommune beschäftigt, ehe er infolge eines Ende Mai erlittenen Kreuzbandrisses bis über den Ausspruch der Kündigung hinaus arbeitsunfähig wurde. Gegen die sodann noch innerhalb der Probezeit ausgesprochene Kündigung legte er Klage ein, verbunden mit dem Argument, der Arbeitgeber hätte ihm zuerst einen leidensgerechten Arbeitsplatz nach § 167 Abs. 1 SGB IX anbieten müssen. Das Arbeitsgericht Köln gab ihm Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam.

Rechtlicher Hintergrund

Wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet und treffen die Parteien keine gesonderten Regelungen betreffend ihre wechselseitigen Kündigungsfristen, so ergeben sich diese aus der gesetzlichen Regelung in § 622 BGB (mind. 4 Wochen). Dieser Grundsatz gilt nur dann auch für befristete Arbeitsverhältnisse, wenn dort eine ausdrückliche Regelung betreffend die Kündigungsfristen mit aufgenommen wurde. Eine solche Regelung  kann etwa die Vereinbarung einer Probezeit sein (§ 622 Abs. 3 BGB), welche den ersten Zeitraum nach Beginn der Tätigkeit betrifft. Diese darf die Dauer von 6 Monaten nicht überschreiten und es kann geregelt werden, dass das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von nur 2 Wochen gekündigt werden kann.

Besonderer Vorteil: Während dieses Zeitraums muss der Arbeitgeber eine Kündigung (auch) nicht begründen, da die in § 1 Abs. 1 KSchG geregelte 6-monatige Wartezeit noch nicht abgelaufen ist und das Kündigungsschutzgesetz somit keine Anwendung findet. Das gilt im Übrigen nach den §§ 164 ff. SGB IX auch für den besonderen Schutz von Schwerbehinderten. Maßgeblich ist hierbei bislang vor allem ein Urteil des BAG vom 21.4.2016 (8 AZR 402/14), in welchem ausdrücklich festgehalten wurde, dass der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX erst nach Ablauf einer Wartezeit von 6 Monaten greift. Für ein gewisses Aufsehen sorgte daher ein Urteil des EuGH vom 10.2.2022 (C-485/20), in dem dieser feststellte, dass auch während der Probezeit gewisse Präventionsmaßnahmen vor der Aussprache einer Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern vorgenommen werden müssen. So muss der Schwerbehinderte im Zweifelsfall auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden, solange dies für den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig ist.

Ergänzender Hinweis: Arbeitgeber sind infolgedessen nie (!) gut beraten, eine während der Probezeit auszusprechende Kündigung zu begründen, etwa weil die Begründung zu “100% sicher” ist. Denn insoweit gilt, dass angegebene Gründe immer auch im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung überprüft werden können und sich der Arbeitgeber dann an diesen festhalten lassen muss. Das Weglassen etwaiger Kündigungsgründe entspricht daher nicht nur den rechtlich zulässigen Möglichkeiten, sondern ist auch im Hinblick auf eine etwaige Angreifbarkeit der Kündigung immer zu bevorzugen.

Entscheidungsgründe

Mit dem Fall des ArbG Köln ist erneut die Frage des Sonderkündigungsschutzes von Schwerbehinderten während der Probezeit aufgekommen. Dieses geht dabei noch über die Vorgaben des EuGH hinaus und stellt sich damit in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BAG: Denn nach dortiger Auffassung müsse der Arbeitgeber vor der Kündigung eines Schwerbehinderten alle möglichen Maßnahmen und (finanzielle) Hilfen ergreifen, bevor er wirksam die Kündigung aussprechen könne. Das Ziel müsse es sein, das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortzusetzen. Es wird zwar anerkannt, dass sich die Erfüllung dieser Voraussetzungen innerhalb der Probezeit als schwierig erweisen dürfte, dies ändere allerdings am Ergebnis nichts. Es müsse zumindest der Versuch von Präventionsmaßnahmen unternommen werden, damit die daraus gewonnenen Erkenntnisse bei Erwägung der Kündigung berücksichtigt werden können.

Fazit

Die Entscheidung des ArbG Köln ist im Ergebnis wenig überzeugend.

Dies einerseits vor dem Hintergrund, dass in der Praxis kaum erkennbar sein dürfte, welche Präventionsmaßnahmen auf Seiten des Arbeitgebers durchzuführen sind und anderseits, weil die danach erforderlichen Maßnahmen wohl kaum innerhalb der Wartezeit nach § 1 KSchG realisiert werden könnten.

Des Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass keine rechtlichen Anhaltspunkte ersichtlich sind, weshalb schwerbehinderte Arbeitnehmer vorliegend anders gestellt werden sollten, als nicht schwerbehinderte. Denn die vom Gesetzgeber angedachte Erprobungszeit zum Beginn eines Arbeitsverhältnisses ist unabhängig hiervon; Anhaltspunkte im Gesetz finden sich nicht. Darüber hinaus ist die vom ArbG Köln vorgenommene Bewertung auch nicht mit derjenigen des Schwerbehindertenrechts vereinbar: Zwar treffen den Arbeitgeber bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Schwerbehinderten (zurecht!) diverse Auflagen, allerdings geht es im Kern zuletzt immer darum, festzustellen, ob die Kündigung bzw der sie auslösende Grund kausal auf der Schwerbehinderung beruht. Ist dies nicht der Fall, entsteht für den schwerbehinderten Arbeitnehmer kein weitergehender Kündigungsschutz. Weshalb der Arbeitgeber nunmehr während der Probezeit zusätzliche Anstrengungen unternehmen soll, leuchtet daher nicht ein.

Autor

RBL-Reiserer-Baade-Lachmann-Arbeitsrecht-Maximilian-Lachmann-Rechtsanwalt
Maximilian Lachmann