Entgeltfortzahlungsanspruch bei behördlicher Quarantäne-Anordnung und fehlender Impfung

BAG, Urteil vom 20.3.2024 – 5 AZR 234/23

Nicht nur durch die brisanten Corona-Protokolle des RKI, die nun öffentlich gemacht werden mussten, bleibt das Thema Corona weiter Teil der öffentlichen Diskussion. Auch auf rechtlicher Ebene bestehen 4 Jahre nach dem ersten Lockdown im März 2020 noch viele offene Fragen. Gerade im dem Arbeitsrecht unterfallenden Bereich der Entgeltfortzahlung sind viele Rechtsstreitigkeiten nicht abschließend entschieden. Das BAG hat nun eine deutliche Duftmarke im Hinblick auf Entgeltfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers bei behördlichen Quarantäne-Anordnungen gesetzt.

Sachverhalt

Der Kläger, ein Produktionsmitarbeiter in einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Zuvor hatte er sich keiner Corona-Schutzimpfung unterzogen. Er erhielt eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 27. bis 31. Dezember 2021. Die Beklagte zahlte während dieser Zeit Entgeltfortzahlung. Die Gemeinde ordnete infolge der Infektion für den Kläger eine Quarantäne bis zum 12. Januar 2022 an. Der Arzt lehnte unter Hinweis auf die positiven Coronatestergebnisse und die bestehende Absonderungsanordnung der Gemeinde die Ausstellung einer Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab. Die Beklagte zog daraufhin ca. 1.000 Euro brutto von seinem Lohn für Januar 2022 ab. Der Kläger verlangte nun die Zahlung der 1.000 Euro nach §§ 3, 4 EFZG. Das Arbeitsgericht hatten diesen Anspruch versagt, während die Berufung ihn bejaht hatte. Auch vor dem BAG gewann der Kläger.

Rechtlicher Überblick

Bevor wir uns der Entscheidung des BAG widmen, sollen an dieser Stelle zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Entgeltfortzahlungsanspruch skizziert werden:

Das Entgeltfortzahlungsgesetz stellt sicher, dass Arbeitnehmer im Fall der Arbeitsunfähigkeit für 6 Wochen weiterhin ihr Gehalt erhalten müssen. Grundsätzlich haben alle Angestellten eines Unternehmens Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie krank oder arbeitsunfähig sein. Das Arbeitsverhältnis muss lediglich seit mindestens 4 Wochen ununterbrochen bestehen. Einzige weitere Voraussetzung ist dann die (unverschuldete) Krankheit des Arbeitnehmers. Nach dem Prinzip der Monokausalität muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein. Zudem muss der Arbeitnehmer den Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit erbringen, § 5 Abs. 1 EFZG bzw. diese nach dem mit Wirkung ab 2023 neu eingefügten § 5 Abs. 1a EFZG zumindest durch einen Arzt feststellen lassen (sodass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch abrufen kann). Befolgt er diese Pflicht nicht, steht dem Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG ein Leistungsverweigerungsrecht im Hinblick auf die eigentlich zu leistende Zahlung zu.

Bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer (nachgewiesenen) Infektion mit dem Coronavirus und behördlich angeordneter Isolation haben Arbeitnehmer regulär Anspruch auf Lohnfortzahlung.

Entscheidung des BAG

Im Fall des BAG gab es drei entscheidende Voraussetzungen, die den Anspruch auf Entgeltfortzahlung problematisch machten.

  • Erstens wurde von der Arbeitgeberin behauptet, es wurde mangels Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein hinreichender Nachweis für die Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus erbracht. Sie ging daher davon aus, ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG zu haben. Dem folgte das BAG nicht. Der Kläger hatte der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
  • Zweite strittige Voraussetzung war die Monokausalität. Hierbei war fraglich, ob die Absonderungsanordnung der Gemeinde eine eigenständige, parallele Ursache für die Arbeitsunfähigkeit darstelle. Auch diesen Überlegungen erteilte das BAG eine Absage. Das aus der Absonderungsanordnung resultierende Tätigkeitsverbot resultiere gerade auf der Infektion. Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache dafür, dass es dem Kläger rechtlich nicht möglich war, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
  • Und zu guter Letzt wurde auch ein mögliches Verschulden des Arbeitnehmers thematisiert, da er es unterlassen hatte, die empfohlene Corona-Schutzimpfung zu bekommen. Zwar könnte die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellen. Allerdings bestand eine gewisse Gefahr von Impfdurchbrüchen, so dass nicht auszuschließen war, dass durch die Schutzimpfung eine Corona-Infektion nicht verhindert werden könnte.

Bewertung und Auswirkung auf die Praxis

Bisher ist nur die Pressemitteilung der Entscheidung des BAG veröffentlicht worden. Es wird spannend zu sehen, wie das BAG seine Entscheidungen im Einzelnen weiter begründet hat. Insgesamt folgt das BAG mit seinen Entscheidungen den Vorgaben des EFZG und gibt ein paar klare Antworten auf die vielen heute noch offenen Fragen aus der Corona-Krisenzeit. Für Arbeitgeber bedeutet dies im Hinblick auf die konkrete Situation: Das Arbeitsentgelt ist selbst dann zu zahlen, wenn sich der Arbeitnehmer keiner Corona-Schutzimpfung unterzogen hat und seine Arbeitsunfähigkeit (auch) auf einer behördlichen Absonderungsanordnung basiert.

Autorin

RBL-Reiserer-Baade-Lachmann-Arbeitsrecht-Johanna-Tormaehlen-Rechtsanwaeltin
Johanna Tormählen