Ein wichtiges Mittel zur Regelung von Arbeitsbedingungen sind Betriebsvereinbarungen. Sie dienen dazu, klare und verbindliche Regelungen für verschiedene Arbeitsbedingungen zu schaffen, wie z.B. Arbeitszeiten, Pausenregelungen, Urlaubsansprüche und den Umgang mit personenbezogenen Daten. Betriebsvereinbarungen bieten damit zahlreiche Vorteile, wie z.B. Rechts- und Planungssicherheit sowie eine effizientere Gestaltung des Arbeitsalltags.
Das gilt jedoch nur, solange diese fehlerfrei geschlossen werden. Welche weitreichenden Folgen Fehler beim Betriebsratsbeschluss zu einer Betriebsvereinbarung haben können, zeigt das Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 27.11.2023 (9 Sa 27/23).
Sachverhalt
Die beklagte Arbeitgeberin hatte mit ihrem Betriebsrat eine wirksame Betriebsvereinbarung abgeschlossen, wonach der Akkordlohn in einen Sockelbetrag umgewandelt wurde. Am 4. Dezember 2020 beschlossen die Beklagte und ihr Betriebsrat in einem Nachtrag zur Betriebsvereinbarung dann, dass der Sockelbetrag mit Wirkung ab 1. Januar 2022 um 25 % gekürzt wird. An der Sitzung nahmen von 13 Betriebsratsmitgliedern zehn teil. Für zwei verhinderte Betriebsratsmitglieder lud der Betriebsratsvorsitzende Ersatzmitglieder ein. Am Vormittag der Sitzung meldete sich ein weiteres Betriebsratsmitglied 2 Stunden vorher krank. Vom Vorsitzenden wurde kein weiteres Ersatzmitglied eingeladen.
Der klagende Arbeitnehmer hielt die Betriebsvereinbarung und damit auch die Kürzung des Sockelbetrags für unwirksam und machte einen Anspruch auf die ungekürzte Vergütung geltend. In der Berufung vor dem LAG hatte er damit auch Erfolg, da die Betriebsvereinbarung von 2020 unwirksam sei.
Rechtlicher Hintergrund
Vorgaben des BetrVG
Nach § 77 BetrVG haben Betriebsvereinbarungen die gleiche Rechtsqualität wie ein Tarifvertrag und sind für alle Arbeitnehmer eines Unternehmens verbindlich. Sie werden durch Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat abgeschlossen. Beide Parteien führen dazu Gespräche, um die Inhalte der Betriebsvereinbarung festzulegen. Diese Verhandlungen können mehrere Runden umfassen, bis ein Konsens erreicht wird. Schließlich muss der Betriebsrat einen formellen Beschluss fassen, um der Vereinbarung zuzustimmen. Dies geschieht in einer Betriebsratssitzung, die als zentraler Bestandteil der Betriebsratsarbeit den gesetzlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BetrVG unterliegt.
Fehler bei Betriebsratssitzungen können verschiedene Konsequenzen haben, insbesondere, wenn es um die ordnungsgemäße Einladung, Tagesordnung und Beschlussfassung geht. Wenn die Einladung zur Sitzung fehlerhaft war oder die Tagesordnung nicht korrekt angegeben wurde, können die in der Sitzung gefassten Beschlüsse unwirksam sein. Dies bedeutet, dass die getroffenen Entscheidungen rechtlich nicht bindend sind.
Rechtsprechung des BAG zur Beweislast
Aus einem viel beachteten Urteil des BAG ergibt sich, dass der Arbeitgeber die Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen darzulegen und zu beweisen hat, falls er sich auf Regelungen einer Betriebsvereinbarung im Verhältnis zu Arbeitnehmern stützen möchte (BAG 8.2.2022 – 1 AZR 233/21). Das BAG lehnte dabei auch die Heranziehung der Anscheinsvollmacht für das Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich ab. Welche Folgen diese Rechtsprechung hat, zeigt das aktuelle Urteil des LAG, das immer wieder Bezug auf die Entscheidung des BAG nimmt.
Entscheidung
Das LAG hielt die Betriebsvereinbarung über die Kürzung des Sockelbetrags vom 4. Dezember 2020 nämlich für unwirksam. Die maßgeblichen Vorschriften der §§ 29 Abs. 2 und 33 BetrVG waren nicht eingehalten worden, da der Betriebsratsvorsitzende nicht genügend Ersatzmitglieder geladen hatte. Da noch mindestens zwei Stunden zwischen der Krankmeldung und der Sitzung gelegen hätten, hätte der Betriebsratsvorsitzende auch per Telefon oder auf elektronischem Weg ein Ersatzmitglied laden müssen.
Die beklagte Arbeitgeberin konnte daher – entsprechend der vom BAG auferlegten Darlegungs- und Beweislast zur Rechtmäßigkeit des Betriebsratsbeschlusses – nicht nachvollziehbar darlegen, warum die Ladung unterblieben sei. Folglich war der Betriebsratsbeschluss unwirksam und der Betriebsratsvorsitzende nicht zur Unterzeichnung der Betriebsratsvereinbarung befugt.
Die von der Arbeitgeberin geltend gemachte Anscheinsvollmacht des Vorsitzenden bestehe im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG nicht. Eine solche Anscheinsvollmacht setzt nämlich voraus, dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können. Im vorliegenden Fall war für den Vertretenen, also den Betriebsrat, nicht erkennbar, dass eine Vertretungsmacht für das Handeln des Vertreters, also des Betriebsratsvorsitzendem, nicht vorlag. Es überspanne die Sorgfalt der anwesenden Betriebsratsmitglieder, von ihnen zu verlangen, dass sie die Rechtmäßigkeit der Einladung der Betriebsratsmitglieder durch den Vorsitzenden in der Betriebsratssitzung kontrollieren. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass der Vorsitzende die Ladung der Betriebsratsmitglieder korrekt vornimmt. Damit besteht keine Anscheinsvollmacht und der Vorsitzende war nicht befugt, die Betriebsvereinbarung zu unterzeichnen.
Schließlich hielt das LAG fest, dass die Arbeitgeberin sich hingegen nicht darauf berufen kann, sie habe gutgläubig darauf vertraut, dass der Vorsitzende im Rahmen eines wirksam gefassten Betriebsratsbeschlusses gehandelt habe. Ein etwaiger Vertrauensschutz kann (nur) angenommen werden, wenn der Arbeitgeber den Fehler in der Beschlussfassung des Betriebsrats aus den ihnen ausgehändigten Unterlagen nicht erkennen kann oder wenn der Betriebsrat sich weigert, dem Arbeitgeber die entsprechenden Unterlagen zeitnah auszuhändigen.
Fazit
Letztlich ergibt sich aus dem Urteil des LAG vor allem eines: Der Arbeitgeber muss schlauer sein als sein eigener Betriebsrat. Denn während den Betriebsratsmitgliedern nicht zugemutet werden kann, etwaige Fehler bei der Beschlussfassung zu erkennen bzw. dazu nachzuforschen, trifft den Arbeitgeber eine Nachforschungspflicht. Anders als die Betriebsratsmitglieder muss er dem Vorsitzenden genau auf die Finger schauen und sich Unterlagen aushändigen lassen, wenn er hinsichtlich der Wirksamkeit einer ansonsten unproblematischen Betriebsvereinbarung auf der sicheren Seite sein will.
Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, bei wichtigen Betriebsratsbeschlüssen stets zeitnah eine Niederschrift zu verlangen und diese auf formelle Fehler zu prüfen, um diese wiederum rechtzeitig monieren und eine neue Beschlussfassung in die Wege leiten zu können.