Netflix im Homeoffice: Ein Fall von Arbeitszeitbetrug?

Die steigende Flexibilität der Arbeitswelt bietet viele Vorteile, sie bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Und wer kennt sie nicht, die Versuchung, Arbeitszeit für private Aktivitäten zu nutzen, wie zum Beispiel das Lesen privater Emails oder das Streamen von Serien auf Netflix? Aber Achtung, denn diese Praxis kann als Arbeitszeitbetrug gewertet werden!

Sie kann so gewertet werden – muss es aber nicht, wie das LAG Rheinland-Pfalz Ende letzten Jahres in einem Urteil festgestellt hat (19.12.2023, Az. 8 Sa – 48/23).

Sachverhalt

Der klagenden Arbeitnehmerin war wegen Arbeitszeitbetrugs gekündigt worden. Sie arbeitete vom 1.10.2020 bis 1.10.2021 im Homeoffice, wozu sie vom Arbeitgeber einen Laptop erhielt. Eine Überprüfung des Browserverlaufs ergab, dass die Klägerin des Öfteren Webseiten ohne dienstlichen Bezug besucht hatte.

Der Arbeitgeber wertete das als Arbeitszeitbetrug und kündigte am 14.10.2021 außerordentlich, nachdem die Arbeitnehmerin auf eine Anhörungseinladung nicht reagierte. Diese meldete sich erst zwei Monate später bei der Agentur für Arbeit und hatte keinen anderweitigen Verdienst, bis sie im März 2022 eine neue Stelle antrat.

Die erhobene Kündigungsschutzklage begründete sie damit, dass kein Arbeitszeitbetrug vorliege, da sie die Netflix-Serien, Podcasts und Co nicht aktiv geschaut, sondern nur die vertrauten Stimmen im Hintergrund habe laufen lassen, um im Corona-Lockdown ein Gefühl von Gemeinschaft und Gesellschaft vermittelt zu bekommen. Ihre Arbeitsaufgaben habe sie stets ordnungsgemäß erledigt. Neben der Unwirksamkeit der Kündigung machte die Klägerin einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB geltend.

Rechtlicher Hintergrund

Das Urteil setzt sich mit drei wichtigen Themengebieten auseinander:

#1 Arbeitszeitbetrug bezeichnet jede vorsätzliche Handlung, bei der ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit falsch angibt oder während der Arbeitszeit privaten Tätigkeiten nachgeht, anstatt seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Dies kann verschiedene Formen annehmen, wie z.B. die Manipulation von Zeiterfassungssystemen, private Aktivitäten während der Arbeitszeit oder unberechtigte Pausen. Es stellt eine erhebliche Pflichtverletzung dar, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wahrheitswidrig vorspiegelt, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben. Die Rechtsprechung ist strikt und lässt in aller Regel sogar die außerordentliche Kündigung zu.

#2 Annahmeverzugslohn ist der Lohn, den ein Arbeitnehmer erhält, wenn er seine Arbeitskraft anbietet, der Arbeitgeber diese jedoch nicht annimmt. Ein typischer Fall für Annahmeverzugslohn tritt auf, wenn eine Kündigung unwirksam ist und der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft (im Kündigungsschutzprozess) weiterhin anbietet. Der Arbeitgeber muss dann den Lohn für die Zeit zahlen, in der der Arbeitnehmer nicht arbeiten konnte, abzüglich dessen, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft verdient hat oder böswillig unterlassen hat zu verdienen.

#3 Die Böswilligkeit des Unterlassen anderweitigen Verdienstes liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt oder die Arbeitsaufnahme verhindert, wenn ihm also ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt.

Entscheidungsgründe

Stellt das „Sich-berieseln-lassen“ von Netflix-Serien und Co. nun einen Arbeitszeitbetrug und damit einen Kündigungsgrund dar? Nein, meint das LAG. Zumindest dann nicht, wenn der Arbeitgeber es nicht hinreichend beweisen kann.

Im Urteil heißt es: Ein Arbeitszeitbetrug setzt voraus, dass Arbeitszeit gerade zum Zwecke der Bezahlung vorgetäuscht wird, also falsche Tatsachen vorgespiegelt werden, um nicht erbrachte Arbeitsleistung trotzdem als Arbeitszeit vergütet zu bekommen. Der Arbeitgeber trägt also die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die Kündigungsgründe als auch für die Widerlegung vom Arbeitnehmer vorgebrachter Rechtfertigungsgründe.

Das LAG sieht es dabei als ein „durchaus bekanntes Phänomen, dass manche Menschen bei ihrer Arbeit Musik, Radio, Fernsehen oder ähnliches im Hintergrund laufen lassen, ohne dadurch von ihrer Arbeit abzulassen, sei es, um sich nicht allein zu fühlen, um in angenehmerer Atmosphäre zu arbeiten, um eine Geräuschkulisse zu haben oder aus sonstigen Gründen.“ Daher und aus besagter Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers reicht es nicht aus, die Aussagen der Klägerin als bloße Schutzbehauptung abzutun. Die Kündigung war letztlich unwirksam.

Fazit

Das Urteil ist eine bittere Pille für den Arbeitgeber und zeigt vor allem eines: Nur das, was überzeugend dargelegt und bewiesen werden kann, hat Bestand. Selbst in scheinbar eindeutigen Fällen wie Arbeitszeitbetrug müssen die Kündigungsgründe hinreichend bewiesen werden. Arbeitgeber sind daher immer gut beraten, hinreichende Beweise zu sammeln, noch bevor sie eine Kündigung aussprechen.

Zudem zeigt der Fall, dass Arbeitgeber gut beraten sind, klare Richtlinien oder Vorgaben zu privaten Aktivitäten und der Nutzung des Internets, insbesondere im Home-Office, zu entwickeln. Werden entsprechende Vorgaben verletzt, kommt es auf einen etwaigen Arbeitszeitbetrug nicht mehr zwingend an, da dieser Verstoß eine eigene Pflichtverletzung und einen möglichen Kündigungsgrund darstellen kann.

Autor

Kliem, Marius
Marius Kliem