Kündigung nach Initiative zur Gründung eines Betriebsrats: Weiterbeschäftigungsanspruch eines „Vorfeld-Initiators“?

Betriebsratsmitglieder genießen Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG. Doch wie verhält es sich, wenn noch kein Betriebsrat besteht, ein Arbeitnehmer aber die Gründung eines Betriebsrates beabsichtigt? Hier kommt § 15 Abs. 3b KSchG ins Spiel. Danach sind personen- und verhaltensbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern (sog. Vorfeld-Initiatoren) unwirksam, die bereits ihre Absicht zur Gründung eines Betriebsrates in einer notariell beglaubigten Erklärung dargelegt haben und entsprechende Vorbereitungshandlungen unternehmen.

Das LAG Köln (19.1.24, 7 GLa 2/24) hatte sich erst kürzlich mit den konkreten Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale der Norm sowie mit ihrer Rechtsfolge auseinanderzusetzen: Besteht diese nur in dem ausdrücklich angeordneten besonderen Kündigungsschutz oder kann aus der Wertung der Norm auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch eines gekündigten Vorfeld-Initiators bis zur Entscheidung im Kündigungsprozess abgeleitet werden?

Sachverhalt

Der Kläger war seit September 2020 bei der Beklagten, einem Unternehmen im Bereich der Cybersicherheit, tätig. Ein Betriebsrat bestand nicht. Im Juli 2023 wurde der Kläger von einem Kollegen zu einer WhatsApp-Gruppe mit dem Namen „BR-Wahl“ hinzugefügt, in der Nachrichten zu diesem Thema ausgetauscht wurden. Im September 2023 führte der Kollege ein Gespräch mit einer Gewerkschaftssekretärin der Gewerkschaft ver.di und übersandte dem Kläger im Nachgang zu diesem Gespräch Informationsmaterialien der Gewerkschaft zum Thema Betriebsratswahlen.

Am 27.10.2023 gab der Kläger eine öffentlich beglaubigte Erklärung ab, dass er die Absicht habe, als Vorfeld-Initiator an der Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsratswahl mitzuwirken. Mit Schreiben vom 30.10.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.11.2023 und berief sich dabei auf betriebsbedingte Gründe. Hiergegen erhob der Kläger am 2.11.2023 Kündigungsschutzklage und stellte einen Weiterbeschäftigungsantrag.

Am 20.11.2023 erhob er beim Arbeitsgericht Bonn zudem einen Antrag auf einstweilige Verfügung bezüglich der Weiterbeschäftigung und stützte diesen auf die Wertung des § 15 Abs. 3b KSchG: Noch bevor über die Wirksamkeit der Kündigung im ordentlichen Verfahren entschieden werde, müsse ihm nach § 15 Abs. 3b KSchG die Möglichkeit gewährt werden, eine Betriebsratswahl zu veranlassen. Die Vorbereitung einer solchen Wahl sei jedoch nur dann möglich, wenn er weiterbeschäftigt werde und auf die betriebsinternen Kommunikationsmittel zurückgreifen könne. Die für eine einstweilige Verfügung erforderliche besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Dauer des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3b S. 2 KSchG auf maximal drei Monate nach Abgabe der notariell beurkundeten Erklärung begrenzt sei.

Entscheidung

Während der Anspruch auf Weiterbeschäftigung vom zuständigen Arbeitsgericht in erster Instanz noch gewährt wurde, lehnte das LAG Köln nach Berufung der Beklagten einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers ab.

Das LAG stellt zunächst klar, dass ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers – auch nachdem ihm gekündigt wurde – grundsätzlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bestehe. Sei das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist aber streitig, weil eine Kündigungsschutzklage erhoben wurde, begründe die Ungewissheit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsprozesses ein überwiegendes und schutzwertes Interesse des Arbeitgebers und lasse deswegen einen Beschäftigungsanspruch für die Prozessdauer entfallen. Der gekündigte Arbeitnehmer hat also keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung mehr, bis über die anhängige Kündigungsschutzklage rechtskräftig entschieden wurde.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder die Nichtbeschäftigung gravierend in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers eingreift. Dann hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Beide Voraussetzungen sind hier nach Ansicht des Gerichts aber nicht gegeben.

Eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung könnte sich durch einen Verstoß gegen § 15 Abs. 3b KSchG ergeben. Der persönliche Schutzbereich ist eröffnet, da der Kläger eine öffentlich beglaubigte Absichtserklärung abgab. Weiter müsste der Kläger Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats vorgenommen haben. Hier ist nach Ansicht des Gerichts ein weiter Maßstabe zugrunde zu legen: Ausreichend sei jedes für Dritte erkennbare Verhalten, das zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl geeignet sei. Demnach genüge vorliegend bereits der Austausch des Klägers mit Kollegen in der WhatsApp-Gruppe zum Thema Betriebsratswahl sowie die Tatsache, dass er sich gewerkschaftliches Informationsmaterial zur Betriebsratswahl zusenden ließ, auch wenn er die Gespräche mit der Gewerkschaftssekretärin nicht selbst führte. Der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3b KSchG entfällt hier jedoch dadurch, dass die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolgte. Unwirksam sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm nur personen- und verhaltensbedingte Kündigungen von Vorfeld-Initiatoren. Die Tatsache, dass es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelte, wurde vom Kläger nicht bestritten. Mithin lag kein Verstoß gegen § 15 Abs. 3b KSchG vor.

Ein gravierender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers lag nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht vor. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass der Kläger sich allein auf einen Verstoß gegen § 15 Abs. 3b KSchG berief. § 15 KSchG schütze ausschließlich die kollektiven Interessen der Belegschaft an der unabhängigen Amtsführung des Betriebsrates. Für eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte sei aber ein Eingriff in individuelle Rechte des Klägers nötig. Eine Berufung auf kollektivrechtliche Interessen scheide daher von vornherein aus.

Da keine der beiden Ausnahmen eingreife, bestehe auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nach abgelaufener Kündigungsfrist.

Praxisfolgen und Fazit

Allein der Status als Vorfeld-Initiator genügt nicht, um einen umfassenden Weiterbeschäftigungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren zu begründen. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch kann sich ergeben, wenn die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 b KSchG offensichtlich unwirksam ist. Dazu müssen aber alle Voraussetzungen der Norm vorliegen – insbesondere besteht kein Schutz bei betriebsbedingten Kündigungen.

Autor

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Maximilian Lachmann