BGH, Urteil vom 23.4.2024 – II ZR 99/22
Wettbewerbsverbote in Anstellungsverträgen zeichnen eine enorme Praxisrelevanz. Sie dienen nicht zuletzt dem Schutz berechtigter Interessen des Unternehmens und verhindern eine illoyale Verwertung von Arbeitserfolgen. Die Frage, ob ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit enthaltener Karenzentschädigung und deren rückwirkender Wegfall bei Zuwiderhandlungen die wirtschaftliche Betätigung eines Geschäftsführers unbillig erschwert, beantwortet der BGH mit seinem Urteil vom 23. April 2024 (II ZR 99/22).
Sachverhalt
Der Beklagte war langjährig als Geschäftsführer für die klagende GmbH tätig. Die Klägerin betreibt unter anderem Kur- und Rehabilitationskliniken. Mit dem Anstellungsvertrag des Beklagten, vom 1. April 2005, vereinbarten die Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot von zwei Jahren. Der Anstellungsvertrag enthielt eine sog. Karenzentschädigung für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots. Der Kläger sollte über die gesamte Länge des Wettbewerbsverbots eine Zahlung in Höhe von 50% der zuletzt geleisteten Monatsbezüge erhalten. Allerdings sollte ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot zu einem rückwirkenden („ex tunc“) Wegfall der Karenzentschädigung führen, mit der Folge, dass der Beklagte bereits erhaltene Beträge hätte zurückzahlen müssen. Der Beklagte wurde mit Beschluss der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 31. Mai 2012 als Geschäftsführer abberufen. Die vereinbarten monatlichen Zahlungen blieben seitens der Klägerin aus. Anschließend war der Beklagte, seit dem 17. Juni 2013, als Geschäftsführer der C. Gesellschaft mbH, einem Beratungsunternehmen, tätig. Die Berufung des Beklagten, gegen das Urteil des LG Berlin vom 5. Oktober 2017 wurde zurückgewiesen. Das Urteil des Kammergerichts vom 5. Mai 2022 folglich aufgehoben.
Im Ergebnis hatte die Revision der Klägerin Erfolg und das landgerichtliche Urteil wurde wiederhergestellt. Die Widerklage des Beklagten auf Zahlung der Karenzentschädigung i.H.v. EUR 92.004 nebst Zinsen wurde abgewiesen.
Entscheidung
Zunächst beschäftigte sich der II. Zivilsenat des BGH mit der Frage, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wirksam ist und ob der Geschäftsführer in einem zweiten Schritt auch dagegen verstoßen hat. Grundsätzlich sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote nur mit der grundgesetzlich geschützten Berufsausübungsfreiheit vereinbar, sofern sie einen Vertragspartner vor der illoyalen Verwertung der Arbeitserfolge des anderen Vertragspartners schützen sollen. Dabei dürfe ein Wettbewerbsverbot das räumliche-, gegenständliche- und zeitlich notwendige Maß nicht überschreiten (BGH, Urteil v. 26. März 1984 – II ZR 229/83). Von großer Relevanz sei eine Interessenabwägung, sowie die entsprechende Einzelfallbetrachtung. Der mit dem Wettbewerbsverbot verfolgte Zweck komme eine zentrale Bedeutung zu (BGH, Urteil v. 14. Juli 1986 – II ZR 296/85). Rechtsfehlerfrei kam auch das KG in seiner Entscheidung zu einer Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots.
Im Rahmen der zweistufigen Prüfung befasste sich der BGH sodann durchaus kurz und stringent mit der Frage, ob der rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung den Beklagten unbillig belastet. Grundsätzlich erlaube sich an dieser Stelle der Hinweis auf vergangene BGH-Rechtsprechung (vgl. Urteil v. 26. März 1984 – II ZR 229/83), mit dem Grundsatz, dass eine Karenzentschädigung im Rahmen von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten nicht gewährt werden müsse. Dabei ist die Höhe der Entschädigung der Disposition durch die Parteien zugänglich. Demnach ist auch die Vereinbarung dessen rückwirkenden Wegfalls grundsätzlich wirksam. Die Auffassung des Beklagten, dass man durch das Fehlen einer Konsequenz für Pflichtverletzungen der Klägerin zu einem anderen Ergebnis gelangen müsse, folgte der BGH nicht.
Weiterhin dürfe der rückwirkende Wegfall der Karenzentscheidung nicht isoliert als unwirksam betrachtet werden. Nur ein die zeitliche Schranke übersteigendes Wettbewerbsverbot ließe sich auf das noch zu billigende zeitliche Maß zurückführen (BGH, Urteil v. 28. April 1986 – II ZR 254/85). Somit nahm das Berufungsgericht eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion vor. Ohnehin könne die Nichtigkeit des rückwirkenden Wegfalls zu einer Gesamtnichtigkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots gemäß § 139 BGB führen. Im Ergebnis verstieß die Tätigkeit des Beklagten gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot und der Anspruch auf Karenzentschädigung des Geschäftsführers entfiel. Bereits geleistete Entschädigungsbeiträge waren zurückzuzahlen.
Fazit
Das Urteil hinterlässt bei genauerer Betrachtung einige offene Fragen. Zunächst lässt es sich kaum erklären, warum der Beklagte nicht geltend machte, dass das vereinbarte Wettbewerbsverbot als AGB gem. den §§ 305 ff. BGB kontrollfähig gewesen wäre. Als GmbH-Geschäftsführer unterfällt er nach ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 10.7.1996 – VIII ZR 213/95) dem „Verbraucherbegriff“ des § 310 Abs. 3 BGB und grundsätzlich würde schon die einmalige Verwendung ausreichen, um die Klausel womöglich einer genaueren Prüfung der §§ 307 ff. BGB zu unterziehen. Zudem ist auffällig, dass der BGH keine Prüfung des § 343 BGB vorgenommen hat, um eine etwaige Herabsetzung der Vertragsstrafe festzulegen.
Weiterhin stellt der BGH entlang seiner bisherigen Rechtsprechungslinie fest, dass die Zahlung einer Karenzentschädigung im Personenkreis der GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich nicht erforderlich sei. Die Prüfung, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot die wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers unbillig erschwert, erfolgt zumindest nicht vollumfänglich. Einer abschließenden Prüfung hätte es insbesondere deshalb bedurft, da das Wettbewerbsverbot gegenständlich auch ein Beratungsunternehmen umfasste, welches Rehabilitationskliniken zu seinen Kunden zählte. Die Reichweite des Wettbewerbsverbots wurde somit von allen Instanzen großzügig bemessen. Gegebenenfalls hätte hier auch eine andere Auffassung vertreten werden können.
Die Entscheidung des BGH richtet sich insbesondere an Organmitglieder und dürfte auf Arbeitnehmer nicht übertragbar sein. Eine Karenzentschädigung ist gegenüber Arbeitnehmern durch § 74 Abs. 2 HGB Wirksamkeitsvoraussetzung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Die Vereinbarung einer Karenzentschädigung steht in diesem Fall also gerade nicht zur Disposition der Vertragsparteien.