LAG Köln, Urteil vom 19.10.2023 – 6 Sa 209/23
Wird eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers nach erhobener Kündigungsschutzklage als unwirksam eingestuft und nur die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung anerkannt, begehrt der betroffene Arbeitnehmer oftmals eine nachträgliche Lohnzahlung wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers. § 615 S. 1 BGB legt fest, dass ein Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen kann, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug der Arbeitsleistung befand. Bei unwirksamen fristlosen Kündigungen durch den Arbeitgeber geht das Bundesarbeitsgericht (BAG) in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers zur weiteren Erbringung seiner Arbeitsleistung entbehrlich war und ein Annahmeverzug seitens des Arbeitgebers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist vorlag.
Der Arbeitgeber kann sich wiederum auf die Einwendungen des § 615 S. 2 BGB berufen. Danach muss der Arbeitnehmer sich bei seiner nachträglichen Lohnforderung unter anderem den Wert desjenigen anrechnen lassen, das er durch anderweitige Verwendung seiner Dienste im fraglichen Zeitraum erwarb oder böswillig zu erwerben unterließ. Mit letzterer Kategorie hatte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln im vorliegenden Fall zu beschäftigen.
Sachverhalt
Die klagende Arbeitnehmerin war bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung und Personalverwaltung beschäftigt. Mit Schreiben vom 22.10.2018 wurde ihr fristlos gekündigt. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Das zuständige Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung als unwirksam eingestuft, ist aber von der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung mit Wirkung vom 31.05.2019 ausgegangen.
Die Klägerin begehrte schließlich Nachzahlung für den Zeitraum zwischen November 2018 und Mai 2019. In diesem Zeitraum habe sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden. Die Klägerin zog von dem begehrten Lohn für diesen Zeitraum das ab, was sie in 30 Stunden Arbeit pro Woche für andere Arbeitgeber erlangte. Die Beklagte war der Auffassung, dass sich die Klägerin nicht nur den erlangten Lohn dieser anderweitigen Arbeit anrechnen lassen müsse, sondern es darüber hinaus böswillig unterließ, noch weiterer zumutbarer Beschäftigung nachzugehen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass sie sich nicht beim Arbeitsamt als arbeitssuchend meldete. Folglich müsse sie sich auch den Wert des böswillig Unterlassenen anrechnen lassen. Die Klägerin wandte hiergegen ein, dass sie sich nicht arbeitssuchend gemeldet habe, weil sie ihre Selbständigkeit vorbereitet habe.
Entscheidung
Das LAG teilte die Auffassung der Klägerin und lehnte ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes ab.
Ein böswilliges Unterlassen könne zunächst nicht bereits dadurch angenommen werden, dass sich die Klägerin nicht bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Dies hätte sie nur tun müssen, wenn sie tatsächlich arbeitslos gewesen wäre. Als arbeitslos gilt, wer erwerbslos ist, also keiner Beschäftigung nachgeht, in der er mindestens 15 Stunden pro Woche arbeitet. Die Klägerin hat im hier relevanten Zeitraum jedoch 30 Stunden pro Woche gearbeitet und war somit nicht arbeitslos.
Auch die darüber hinaus von der Beklagten vorgetragenen Umstände seien nicht ausreichend für ein böswilliges Unterlassen nach § 615 S. 2 BGB. Selbst wenn als unstreitig unterstellt würde, dass in zumutbarer Entfernung einige offene Stellen für Menschen mit den Qualifikationen der Klägerin im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung existierten, so ergebe sich aus der Nichtbewerbung auf die Stellen nicht vom ersten Tag an ein böswilliges Unterlassen. Vielmehr sei bei qualifizierten Stellen in aller Regel ein Zeitraum bis zu drei Monaten als unproblematisch zu betrachten. Dies folge aus dem Umstand, dass ein Bewerbungsprozess für gewöhnlich mehrere Wochen dauere. Daher kann davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer hinreichende Bemühungen um eine neue Anstellung an den Tag gelegt hat, wenn er binnen drei Monaten eine solche erlangt. Dies war vorliegend der Fall.
Keine andere Bewertung könne daraus folgen, dass die Klägerin sich schließlich eine selbständige Tätigkeit aufgebaut habe, auch wenn bei dieser zu Beginn Einkünfte erzielt wurden, die unter einer den bisherigen Aufgaben entsprechenden Tätigkeit lagen. Schließlich reiche die Rücksichtnahmepflicht im Rahmen des Annahmeverzugs nicht so weit, dass die Gläubigerin im Annahmeverzugsprozess jeglichen Plan zur Begründung einer Selbständigkeit zurückstellen muss, um den Annahmeverzugsschaden der Schuldnerin so weit wie möglich zu minimieren.
Praxisfolgen und Fazit
Aus Arbeitgebersicht ist stets zu bedenken, dass ihn bei dem Einwand des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes gem. § 615 S. 2 BGB die Darlegungs- und Beweislast trifft. Er muss dafür konkrete Anhaltspunkte für die Ablehnung einer zumutbaren Möglichkeit sowie zur konkreten Höhe des anzurechnenden Verdienstes vortragen. Dies wird ihm regelmäßig schwerfallen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle findet und antritt – auch wenn es sich bei der neuen Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit handelt.