Beweisverwertung offener Videoüberwachung am Arbeitsplatz

BAG, Urteil vom 09.06.2023 – 2 AZR 296/22

Grundsätzlich sind in einem Kündigungsschutzprozess durch eine offene Videoüberwachung gewonnene Aufzeichnungen als Beweismittel verwertbar, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Was ist aber, wenn die Videoüberwachung gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstößt? In einer jüngst ergangenen Entscheidung hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) damit zu beschäftigen, ob Datenschutz zugleich Tatenschutz bedeutet.

Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war in einer Gießerei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Vor Beginn einer Schicht im Sommer 2018 betrat der Arbeitnehmer zwar das Werksgelände, habe dieses aber – so der Vorwurf der Arbeitgeberin – wieder verlassen, ohne die Arbeit anzutreten, obwohl er später Lohn dafür erhalten habe. Auf einen anonymen Hinweis hin sichtete die Arbeitgeberin das Material einer Videokamera, die sich unübersehbar an einem Werkstor befand und die durch ein Piktogramm ausgewiesen wurde. In der zur maßgeblichen Zeit erfolgten Aufzeichnung war zu erkennen, dass der Arbeitnehmer das Werksgelände tatsächlich noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hatte.

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin fristlos, hilfsweise fristgemäß. Durch seine hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage machte der Arbeitnehmer geltend, dass er an dem fraglichen Tag sehr wohl gearbeitet habe. Außerdem sei die Videoaufzeichnungen seiner Auffassung nach im Verfahren nicht verwertbar, da die Überwachung gegen unions- und bundesrechtliche Datenschutzvorschriften verstoßen habe. Darüber hinaus sei die auf den Hinweisschildern ausgewiesene Speicherdauer von 96 Stunden überschritten worden. Zudem habe man in einer Betriebsvereinbarung festgehalten, dass die Verwendung von Videoaufzeichnungen zur Auswertung personenbezogener Daten verboten sei.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Entscheidung des BAG

Das BAG folgte der Rechtsauffassung der Vorinstanzen jedoch nicht, sodass die Revision des Arbeitgebers im Ergebnis Erfolg hatte.

Der die fristlose Kündigung rechtfertigende Pflichtverstoß sei – so die Bundesrichter – durch die Videoaufzeichnung, die das vorzeitige Verlassen des Betriebsgeländes belegt, bewiesen.

Der Verwertbarkeit stehe es nicht entgegen, dass die Überwachung möglicherweise gegen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) oder der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) verstoße. Ob dies tatsächlich der Fall war, ließ das BAG offen. Die Richter waren der Auffassung, dass selbst bei einem Datenschutzverstoß eine Datenverarbeitung durch die Arbeitsgerichte gemäß der DS-GVO nicht ausgeschlossen sei. Vielmehr seien durch das Gericht bei der Prüfung, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliege, die gegenläufigen Interessen abzuwägen. Das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung des Sachverhalts wiege in Konstellationen wie der streitgegenständlichen schwerer als das Interesse des Arbeitnehmers an der Einhaltung von datenschutzrechtlichen Vorschriften.

Vor diesem Hintergrund sei zu berücksichtigen gewesen, dass vorliegend ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zur Debatte stand. Ferner sei die Aufzeichnung im Wege der sogenannten offenen Videoüberwachung erfolgt. Diese sei unmissverständlich durch ein entsprechendes Schild ausgewiesen worden. In einer derartigen Konstellation könne es außerdem dahinstehen, wie lange die Aufnahmen bis zur erstmaligen Auswertung gespeichert waren.

Bei einer offenen Videoüberwachung sei nur bei einer hierdurch bedingten schwerwiegenden Grundrechtsverletzung des Arbeitnehmers die Annahme eines Beweisverwertungsverbots denkbar. Einen solchen Fall sah das Gericht jedoch in der streitgegenständlichen Konstellation nicht.

Praxisfolgen und Fazit

 Aus Arbeitgebersicht ist das Urteil zu begrüßen, da es die grundsätzliche Zulässigkeit der offenen Videoüberwachung als notwendiges Mittel zur Gefahrprävention im Betrieb testiert und deren Tauglichkeit durch Ablehnung eines Beweisverwertungsverbotes unterstreicht. Es bestätigt zudem die allgemein verwertungsfreundliche Rechtsprechung des BAG, dass im Kündigungsschutzprozess Datenschutz nicht zwingend zu Tatenschutz im Sinne einer Unverwertbarkeit belastender Beweise führt. Darüber hinaus stellt die Entscheidung klar, dass auch ein Verstoß gegen eine datenschützende Betriebsvereinbarung ein Beweisverwertungsverbot nicht eigenständig zu begründen vermag.

Zu beachten ist allerdings, dass diese Grundsätze lediglich für die offene, für den Arbeitgeber erkennbare, Überwachung gilt. Demgegenüber ist eine verdeckte Videoüberwachung nur in sehr engen Grenzen zulässig, sodass hier auch die Schwelle zum Beweisverwertungsverbot schneller überschritten wäre.

Aber auch im Hinblick auf die offene Videoüberwachung stellt das Urteil des BAG keinen Freibrief für Arbeitgeber dar. Zum kann eine hierdurch erfolgende schwerwiegende Grundrechtsverletzung des Arbeitgebers im Einzelfall durchaus zu einem Beweisverwertungsproblem führen. Darüber hinaus drohen bei Verletzung von datenschutzrechtlichen Vorgaben unter anderem Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers.

Autorin

Madelaine-Isabelle RBL-Reiserer-Baade-Lachmann-Arbeitsrecht
Dr. Madelaine Isabelle Baade