Kündigung wegen Äußerung in einer Chatgruppe

BAG, Urteil vom 24.08.2023 – 9 AZR 383/19

Wenn sich ein Arbeitnehmer beleidigend und menschenverachtend über Vorgesetzte und Kollegen äußert, stellt dies wohl in der Regel einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Doch wie ist der Fall zu bewerten, wenn diese Äußerungen ausschließlich im privaten Chatroom getroffen werden?

Immer wieder beschäftigt Arbeitgeber die Frage, ob sie Inhalte aus privaten Kommunikationsdiensten zum Anlass für eine Kündigung nehmen dürfen. Schon vor einiger Zeit haben wir uns in einem Beitrag (BB 2021, 1588 ff.) ausführlich mit dieser Fragestellung beschäftigt. Problematisch sind hierbei vor allem Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte des betroffenen Arbeitnehmers, der sich auf die Vertraulichkeit seiner Aussagen verlässt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit Urteil vom 24.08.2023 mit den Anforderungen an die Verwertung der Kommunikation für die Kündigung beschäftigt.

Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer gehörte seit 2014 einer Chat-Gruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Die Gruppenmitglieder waren nach Feststellung der Vorinstanz „langjährig befreundet“. In diesem Umfeld wurde sich offen über Vorgesetzte und Arbeitskollegen in menschenverachtender und beleidigender Art geäußert. Durch Aussagen wie „Erst den Polakken umnieten der ist der Schlimmste“ wurde vom Kläger zudem zur Gewalt aufgerufen. Der Arbeitgeber erhielt hiervon zufällig Kenntnis und sprach nach Anhörung des Klägers sowie des Betriebsrats die fristlose Kündigung aus.

Beide Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt, weil der Arbeitnehmer eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen habe, deren Verwertung deshalb ausgeschlossen sei.

Entscheidung

Das BAG bestätigte diese Entscheidungen nicht. Zwar ist das Urteil noch nicht veröffentlicht, jedoch lassen sich der Pressemitteilung bereits wichtige Aussagen bezüglich etwaiger Vertraulichkeitserwartungen von Arbeitnehmern entnehmen.

Das BAG geht danach nur dann von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung aus, wenn die Mitglieder der Chat-Gruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Dieser persönlichkeitsrechtliche Schutz ist nach Ansicht des BAG abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chat-Gruppe. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der – für diese Tatsache beweisbelastete – Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, dass diese nicht weitergegeben werden.

Praxisfolgen und Fazit

Das BAG beschäftigt sich in diesem wichtigen Urteil erstmals mit der Frage, ob Äußerungen in geschlossenen Chat-Gruppen eine Kündigung rechtfertigen können. Bislang waren Entscheidungen zu Vertraulichkeitserwartungen sehr uneinheitlich, beispielsweise bei Äußerungen in privaten Gesprächen. Das BAG gibt nun zumindest für Chat-Gruppen einen gewissen und strengeren Maßstab vor. Maßgeblich ist insofern die berechtigte Vertraulichkeitserwartung des betroffenen Arbeitnehmers, an die hohe Anforderungen gestellt werden. Es liegt nun am Arbeitnehmer zu beweisen, dass er auf die Vertraulichkeit seiner Aussagen vertrauen durfte. Allein das Bestehen langjähriger Freundschaften lässt das BAG dafür offenbar nicht ausreichen. Der Beweis der berechtigten Vertraulichkeitserwartung dürfte den Arbeitnehmern künftig wohl vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten stellen. Das Urteil stellt unter diesem Gesichtspunkt eine Stärkung der Arbeitgeberseite im Kündigungsschutzprozess dar.

Autorin

Madelaine-Isabelle RBL-Reiserer-Baade-Lachmann-Arbeitsrecht
Dr. Madelaine Isabelle Baade