Annahmeverzug bei widersprüchlicher Kündigung

BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 255/22

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er der Auffassung ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist, sodass der Arbeitgeber auch ohne Angebot des Arbeitnehmers in Annahmeverzug gerät. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 29.03.2023, das wir in diesem Beitrag für Sie genauer unter die Lupe nehmen werden.

Sachverhalt

Der Kläger war technischer Leiter bei der beklagten Arbeitgeberin. Diese sprach im Dezember 2019 eine fristlose Änderungskündigung aus. In dem Schreiben hieß es weiter: „Im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt.“. Nachdem der Kläger das Angebot abgelehnt hatte und nicht zur Arbeit erschienen war, kündigte die Beklagte fristlos und wies darauf hin, dass sie „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ den Kläger „am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“ erwarte. Dem leistete der Kläger nicht Folge. In einem Kündigungsschutzverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben.

Anschließend hieran klagte der Arbeitnehmer auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs, mit der er die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt seiner neuen Beschäftigung forderte. Das Begehren des Klägers wurde in den ersten beiden Instanzen abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass dem Kläger, da er das Angebot des Arbeitgebers weiterzuarbeiten nicht angenommen habe, kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zustehe.

Entscheidung des BAG

Vor dem BAG hatte der Kläger aber schließlich Erfolg. Die Beklagte – so die Erfurter Richter – habe sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug befunden, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Die Beklagte sei selbst davon ausgegangen, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten. Daher spreche wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitet habe.

Die Ablehnung eines solchen Schein-Angebots lasse nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers schließen, der nach § 297 BGB den Verzug der Arbeitgeberin ausschließen könnte. Auch musste sich der Kläger keinen böswillig unterlassenen Verdienst nach § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen. Dem Kläger sei eine Weiterbeschäftigung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person nicht zumutbar gewesen.

Dem Anspruch auf Annahmeverzugslohn steht nach Auffassung des Bundesgerichts auch nicht entgegen, dass der Kläger im Zuge des Kündigungsschutzverfahrens eine vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dies stelle entgegen der Auffassung der Beklagten kein widersprüchliches Verhalten seitens des Klägers dar, da der Antrag ausschließlich auf die Beschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet gewesen sei. Demgegenüber betreffe der streitgegenständliche Anspruch auf Annahmeverzugslohn die Weiterbeschäftigung in der Zeit von der Kündigung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung.

Praxisfolgen und Fazit

Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, so muss er die Vergütung weiter entrichten, auch wenn er hierfür keine Arbeitsleistung erhält. Grundsätzlich ist dieses Dilemma durch das Angebot einer Prozessbeschäftigung vermeidbar, wobei der Arbeitgeber immerhin eine Gegenleistung für den gezahlten Lohn während des Kündigungsschutzverfahrens erhält. Verweigert der gekündigte Arbeitnehmer die Annahme des Angebots, so besteht die Möglichkeit, ihm böswillig unterlassenen Verdienst anzurechnen.

Allerdings zeigt das dargestellte Urteil des BAG, dass das Angebot der Prozessbeschäftigung jedenfalls bei fristlosen verhaltensbedingten Kündigungen, die typischerweise mit der Unzumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit begründet werden, widersprüchlich ist. Auf ein solches Angebot muss sich der Arbeitnehmer nicht einlassen und gefährdet dabei auch nicht etwaige Ansprüche auf Annahmeverzugslohn. Darüber hinaus ist im Allgemeinen zu beachten, dass das Angebot der Prozessbeschäftigung unweigerlich die Begründung für die Kündigung im Kündigungsschutzverfahren schwächt.

Um diese Nachteile zu vermeiden und unkalkulierbaren Risiken bei langer Prozessdauer zu entgehen, kann stattdessen in vielen Fällen die Zahlung einer Abfindung eine attraktive Alternative darstellen. Bei der Suche nach der optimalen rechtlichen Lösung im Einzelfall stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.

Autorin

Dr. Kerstin Reiserer - RBL - Reiserer Baade Lachmann Arbeitsrecht
Dr. Kerstin Reiserer