BAG, Urteil vom 23.4.2024 – 5 AZR 212/23
Die Frage danach, ob und wenn ja in welchem Maß Umkleidezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeiten anzusehen sind, war bereits häufiger Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Insbesondere, wenn, wie im nun vom BAG entschiedenen Fall, noch Körperreinigungszeiten hinzukommen, kann es hier schnell um Zeiten gehen, die auf den Monat hochgerechnet einen beachtlichen Teil der Vergütung betreffen. Auch einen Einblick in die gelegentlich skurrileren Seiten des gerichtlichen Alltags – wo Ankleidezeiten kurzerhand im gerichtlichen Selbstversuch beurteilt werden – bietet die aktuelle Entscheidung.
Sachverhalt
Zugrunde liegt der Entscheidung die Klage eines Containermechanikers. Dieser war mit dem Abschleifen und Nachlackieren rostiger Container beauftragt. Hierbei hatte er Schutzausrüstung zu tragen, welche er zunächst in einem auch mit Duschen ausgestatteten Umkleideraum anzog und sich erst dann zum eigentlichen Arbeitsplatz begab. Nach seinem Arbeitstag legte er die Schutzkleidung wieder ab und duschte sich. Der Mechaniker war der Ansicht, dass sämtliche Zeiten für das Umkleiden, Duschen und den Weg zum eigentlichen Arbeitsplatz als Arbeitszeit zu vergüten sind. Der Arbeitgeber sah darin keine Arbeitszeit. Im Übrigen war er der Meinung, dass die vom Arbeitnehmer veranschlagten Zeiten überzogen seien.
Das Arbeitsgericht gab dem Kläger dem Grunde nach Recht und betrachtete 20 Minuten täglich als angemessenen Zeitrahmen für die Umkleide-, Körperreinigungs- und innerbetriebliche Wegezeiten. Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts.
Rechtlicher Überblick
Schon 2012 hatte das BAG entschieden, dass auch Umkleidezeiten Teil der Arbeitszeit sein können und entsprechend zu vergüten sind (BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 678/11). Insofern die andere Kleidung aus arbeitsbedingten Gründen oder Vorgaben des Arbeitgebers angelegt werden muss, so ist das Umziehen „ausschließlich fremdnützig“. Besonders bei Schutzkleidung leuchtet es ein, dass der Arbeitnehmer diese nur zum Zwecke der Erbringung seiner Dienste anlegt und auch die Umkleidezeit daher „Arbeit“ darstellt. Strittig ist im Einzelfall seit der Entscheidung aus 2012 meist nur noch die hierfür zu veranschlagende Zeit.
Inwieweit dieser Maßstab allerdings auch auf Körperreinigungszeiten zu übertragen ist, war bisher strittig. Es existierte zwar eine Entscheidung des BAG hierzu, welche in einem Fall zwar Körperreinigungszeiten als Arbeitszeit einordnete, jedoch gleichzeitig eine Vergütungspflicht ablehnte (BAG v. 11.10.2000 – 5 AZR 122/99). Da diese Entscheidung jedoch aus dem Jahre 2000 stammt, war deren aktuelle Leitwirkung überschaubar, insbesondere aufgrund der erwähnten neueren Entscheidung zu Umkleidezeiten.
Entscheidung des BAG
Das BAG hat nun deutlich gemacht, dass grundsätzlich auch Zeiten der Körperreinigung als Arbeitszeit eingeordnet werden können und sodann auch zu vergüten sind. Gleichzeitig hat das Gericht jedoch betont, dass die Betrachtung stets an den Umständen des Einzelfalles hängt und nicht bereits die geringste Verschmutzung bei der Arbeit dazu führt, dass der Arbeitgeber Duschzeiten vergüten muss.
Vielmehr können Körperreinigungszeiten nur dann vergütungspflichtig sein, wenn sie mit der Tätigkeit unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Körperreinigung durch den Arbeitgeber angeordnet wird oder aufgrund von Hygienevorschriften oder dem Arbeitsschutz erfolgt. In diesen Fällen liegt dieses Ergebnis auch nahe, da die Körperreinigung für den Arbeitnehmer bereits verpflichtend ist und er hierauf keinen Einfluss hat. Doch auch wenn dies nicht der Fall ist, können Körperreinigungszeiten vergütungspflichtig sein. Hierfür muss sich der Arbeitnehmer bei der Arbeit so sehr verschmutzen, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebes und der Weg nach Hause nicht ohne vorherige Reinigung zugemutet werden kann. Hier kommt es stark auf den Einzelfall an, jedoch reicht zumindest die übliche Verunreinigung durch Schweiß etc. nach einem Arbeitstag nicht aus, um vergütungspflichtige Reinigungszeiten zu begründen.
Als Beispiele für Umstände, welche eine vergütungspflichtige Körperreinigung bedingen können, nannte das Gericht stark verschmutzende Tätigkeiten, Tätigkeiten mit starker Geruchsbelästigung, besondere klimatische Bedingung oder Nässe, sowie Fälle, in denen der Arbeitnehmer großflächig Schutzausrüstung tragen muss. Sich ungeduscht in der Öffentlichkeit zu bewegen oder in seinen Pkw zu steigen sei dem Arbeitnehmer in solchen Fällen nicht zumutbar. Bei geringeren Verschmutzungen kann jedoch auch eine Reinigung der einzelnen verschmutzten Körperteile, wie oft der Arme, ausreichend sein. Macht der Arbeitnehmer sich wortwörtlich „die Hände schmutzig“, führt dies nicht sofort zur Notwendigkeit des Duschens. Zuletzt hat das Gericht auch die Wegezeiten von dem Umkleideraum zum eigentlichen Arbeitsplatz als vergütungspflichtig erachtet.
Auch in prozessualer Hinsicht war das Urteil des BAG interessant: Da nicht eindeutig bestimmbar war, wie lange das Umkleiden im Streitfall dauert, schätzte das Gericht diese Dauer – durch einen Selbstversuch. Der Kammervorsitzende legte seine Kleidung ab und später wieder an, um das Umkleiden vor und nach dem Arbeitstag des Klägers zu simulieren. Das BAG hatte hieran jedoch einiges zu bemängeln – unter anderem, dass der Selbstversuch als Teil der Beweisaufnahme nicht parteiöffentlich geschah, wie es § 357 Abs. 1 ZPO jedoch vorschreibt. Nach Ansicht des BAG haben die Parteien daher ein Recht darauf, einen solchen Selbstversuch zu beobachten und zu den Ausgangsbedingungen Stellung zu nehmen. Der Umkleide-Selbstversuch wird unter diesen Bedingungen wohl in Zukunft vom Aussterben bedroht sein.
Bewertung und Auswirkung auf die Praxis
In konsequenter Anknüpfung an die Rechtsprechung zu Umkleidezeiten sind nun auch Körperreinigungszeiten gegebenenfalls als vergütungspflichtige Arbeitszeiten anzusehen. Aufgrund der starken Einzelfallabhängigkeit sind hier generelle Empfehlungen schwierig. Zumindest jedoch, wenn die Körperreinigung durch den Arbeitgeber vorgegeben oder gesetzlich vorgeschrieben ist, wird diese Zeit in Zukunft zu vergüten sein. Darüber hinaus können hier öffentlich-rechtliche Vorschriften wie der Anhang der Arbeitsstättenverordnung oder der Anhang der konkretisierenden Technischen Regeln für Arbeitsstätten eine Orientierungshilfe für die Notwendigkeit der Körperreinigung bieten. In der Anwendung dieser neuen Rechtsprechung ist aus Arbeitgebersicht jedoch auch zu beachten, dass nicht jede grundsätzlich notwendige Reinigung dazu führt, dass dem Arbeitnehmer eine umfangreiche Dusche zu vergüten ist. Auch punktuellere Reinigung kann hier ausreichend sein. Fallen Umkleide- und Körperreinigungszeiten täglich an, so kann aufgrund dieser neuen Rechtsprechung dennoch eine doch beachtliche Mehrbelastung für den Arbeitgeber entstehen.