Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nicht gezahlt? – Die Nachzahlung droht!

In vielen Betrieben gibt es Regelungen, wonach bei Überstundenzuschlägen zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten unterschieden wird. Eine der bekanntesten Regelungen ist wahrscheinlich der TVöD, der eine Unterscheidung zwischen Mehrarbeit und Überstunden vorsieht. Maßgeblich und entscheidend wird dies allerdings nur für Teilzeitbeschäftigte. Denn Mehrarbeit ist der Zeitraum zwischen der vertraglich vereinbarten Teilzeit und der Arbeitszeit eines in Vollzeit tätigen Mitarbeitenden. Diese Mehrarbeit wird normal vergütet, aber ohne Zuschläge. Erst wenn die Arbeitszeit eines in Vollzeit tätigen Beschäftigten überschritten wird, gewährt der Tarifvertrag Überstundenzuschläge. Diese Regelung hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) noch am 15. Oktober 2021 (Az. 6 AZR 259/19) geprüft und gebilligt. Es hat die Zahlung zusätzlicher Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten der Arbeitszeit tarifvertraglich in Vollzeit tätiger Beschäftigter damit begründet, dass die Tarifvertragsparteien ein „eigenständiges Freizeitregime“ für Teilzeitbeschäftigte haben. Letztlich hat das BAG damit die Auffassung vertreten, dass die Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten an deren Einverständnis geknüpft ist, während Vollzeitbeschäftigte qua Vertrag verpflichtet sind, die tarifvertraglich festgelegte Vollzeit zu erbringen. Und das hat laut BAG bisher als sachlicher Grund für die Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigten ausgereicht.

Jetzt gibt es aber einen neuen Fall: Das BAG hatte einen Sachverhalt zu bewerten, in dem es um einen teilzeitbeschäftigten Piloten bei der Lufthansa Cityline ging, der in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 90 % der Vollarbeitszeit eines Flugzeugführers tätig war. In einer Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit war festgelegt worden, dass Teilzeitkräfte Überstundenzuschläge erst erhalten, wenn die Flugdienstzeit die für Vollzeitbeschäftigte geltenden Auslösegrenzen überschreitet. Und das BAG hat dann dem EuGH diesen Rechtsstreit im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt mit der Bitte um Prüfung, ob diese Regelung eine „schlechtere“ Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne der Diskriminierungsvorschriften darstellt und deshalb die nationale Regelung unzulässig ist. Und der EuGH kam in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2023 – für viele wenig überraschend – zu dem Ergebnis, dass hier eine schlechtere Behandlung vorliegt. Er hat dabei ausdrücklich die bisherige Argumentation des BAG nicht mehr akzeptiert, dass die Tarifvertragsparteien ein „eigenständiges Freizeitregime“ für Teilzeitbeschäftigte durch Tarifvertrag schaffen können und ist deshalb auch dem Argument ausdrücklich nicht gefolgt, dass die Mehrarbeit Teilzeitbeschäftigter an deren Einverständnis geknüpft ist. Vielmehr gibt der EuGH jetzt klar vor, dass für die Feststellung einer Entgeltdiskriminierung zwischen Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten jeweils auf einen sogenannten Einzelvergleich abzustellen ist. Und damit kommt der EuGH zum Ergebnis, dass eine Regelung, wonach Teilzeitbeschäftigte für Arbeitszeiten, die über der vertraglich vereinbarten liegen, erst dann Überstundenzuschläge erhalten, wenn die Arbeitszeit über die Grenze der Vollzeitbeschäftigten hinausgeht, rechtswidrig ist.

Jetzt haben wir die Situation, dass einerseits Rechtsprechung des BAG vorliegt, auf die sich insbesondere die Tarifvertragsparteien des TVöD gerne noch berufen würden, und anderseits die aufgezeigte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Diese Situation ist damit zu erklären, dass die Frage der Entgeltdiskriminierung und entsprechender innerstaatlicher Regelungen auf einer Europäischen Richtlinie des Rates vom 15. Dezember 1997 (EG-RL 1999/81) beruht und vom nationalen Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 TzBfG umgesetzt wurde.

Da somit das innerstaatliche deutsche Recht auf einer Europäischen Richtlinie beruht, haben die innerstaatlichen Gerichte, auch das Bundesarbeitsgericht, die Auslegungsvorgaben des Europäischen Gerichtshofs zu beachten. Und deshalb ist zu erwarten, dass das Bundesarbeitsgericht seine Judikatur an den neuen Vorgaben des EuGH, konkretisiert durch die Entscheidung vom 19. Oktober 2023, ausrichten wird.

Was sind nun die Konsequenzen dieser EuGH-Entscheidung? Zum einen ist zu erwarten, dass das BAG seine Rechtsprechung an den Vorgaben des EuGH ausrichten wird und entsprechende Tarifnormen oder Regelungen in Betriebsvereinbarungen nicht mehr als zulässig ansehen wird. Aber was heißt das für die betroffenen Arbeitgeber, die sich bisher auf diese Normen berufen und einen weit überwiegenden Teil der Mehrarbeit ihrer Teilzeitbeschäftigten ohne Zuschläge vergütet haben? Hier gibt die gefestigte Rechtsprechung des BAG Auskunft, wonach ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG regelmäßig dazu führt, dass die diskriminierende Regelung nach § 134 BGB nichtig ist. Die weitere Rechtsfolge ist, dass für die Zukunft eine „Anpassung nach oben“ erfolgen muss, weil die begünstigende Regelung – also die Überstundenzuschläge für Vollzeitbeschäftigte – das einzig gültige Bezugssystem sind (BAG vom 11.11.2020 – 10 AZR 185/20; BAG vom 19.12.2018 – 10 AZR 231/18). Konkret heißt dies, dass Arbeitgeber, die nach wie vor auf entsprechende Regelungen für Teilzeitbeschäftigte vertrauen, durch die nachträgliche „Anpassung nach oben“ dieselbe Regelung wie für Vollzeitbeschäftigte anwenden müssen und sie deshalb ebenfalls bereits ab der ersten Stunden Mehrarbeit mit den tariflich oder ansonsten festgelegten Überstundenzuschlägen zu zahlen haben.

Es ist also keineswegs übertrieben, von einer absolut brisanten Entscheidung des EuGH zu sprechen, die Grund genug für Arbeitgeber sein sollte, die vertraglichen oder tarifvertraglichen Regelungen im Zusammenhang mit Mehrarbeit und Überstunden zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Autorin

Madelaine-Isabelle RBL-Reiserer-Baade-Lachmann-Arbeitsrecht
Dr. Madelaine Isabelle Baade