BAG, Urteil vom 12.11.2024 – 9 AZR 13/24
Die Arbeitnehmerüberlassung im Konzern ist von großer praktischer Relevanz. Rechtliche Grundlage hierfür bildet das (AÜG). Für Konzerne ist in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ein Privileg vorgesehen, wonach die meisten Regelungen des AÜG auf die Arbeitnehmerüberlassung innerhalb im Sinne des § 18 Aktiengesetz konzernverbundener Unternehmen keine Anwendung finden, sofern der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (Konzernprivileg).
Sachverhalt
Der Kläger war bei der S-GmbH knapp 12 Jahre als „Sitzefertiger“ angestellt. Seine Arbeitsleistung erbrachte der Kläger jedoch auf dem Gelände der Beklagten, einem weiteren Unternehmen desselben Konzerns. Die konkreten Umstände der Erbringung der Arbeitsleistung waren zwischen den Parteien streitig. Nach Ansicht des Klägers war er bei der Beklagten unter Verletzung der Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eingesetzt worden. Dieser Einschätzung folgend wäre also zwischen ihm und der Beklagten als Entleiherin nach § 10 Abs. 1 AÜG iVm § 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Die Beklagte berief sich hingegen auf das Konzernprivileg. Während die Vorinstanzen die Klage abwiesen, hielt das BAG das Konzernprivileg im gegenständlichen Fall nicht für anwendbar.
Entscheidung
Das BAG interpretierte die Wendung „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – anders als das LAG – als „alternative Oder“. Nach seiner Auffassung findet das Konzernprivileg also dann keine Anwendung, wenn auch nur eine der beiden Alternativen erfüllt ist, wenn also der Arbeitnehmer entweder zum Zweck der Überlassung eingestellt oder zum Zweck der Überlassung beschäftigt wird. Eine durchgehende Überlassung seit Beginn des Arbeitsverhältnisses indiziere dabei eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung. In einem solchen Fall könne in der Regel nicht mehr davon ausgegangen werden, dass für den Arbeitnehmer eine Beschäftigung bei seinem Vertragsarbeitgeber vorgesehen ist. Bei einer langfristigen Überlassung finde in der Regel eine Verlagerung des Schwerpunkts des Arbeitsverhältnisses statt. Diese äußere sich darin, dass der überlassene Arbeitnehmer einerseits dem Betrieb des Verleihers entfremdet und andererseits immer fester in die Betriebs- und Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert werde. Eine länger andauernde Überlassung könne andererseits unschädlich sein, wenn ihr ein sie rechtfertigender Anlass zugrunde liege. Entscheidend seien stets die Gesamtumstände. Besondere Bedeutung komme dabei dem Anlass der Überlassung zu. Liege der Konzernleihe ein besonderer Anlass zugrunde, insbesondere ein solcher, der im Interesse des Arbeitnehmers liege oder seien im fremden Konzernunternehmen besondere Aufgaben wahrzunehmen, spreche dies indiziell gegen eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung. Davon sei auch auszugehen, wenn der Grund für die Überlassung einem der in § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG aufgezählten Befristungsgründe zuzuordnen ist. Diene die Überlassung demgegenüber der Erledigung regelmäßig beim entleihenden Konzernunternehmen anfallender Aufgaben und liege auch beim Vertragsarbeitgeber kein besonderer Grund für die Abgabe des überlassenen Arbeitnehmers vor, spreche dies für eine Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung.
Das BAG verwies die Sache zurück an das LAG, das nun zu klären hat, ob tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG vorlag, ob also der Kläger tatsächlich in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert war und deren Weisungen unterlag oder ihm gegenüber allein die S-GmbH weisungsbefugt war.
Fazit
Das Urteil des BAG reduziert den Anwendungsbereich des Konzernprivilegs und gibt Anlass, konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen zu prüfen. Kritisch erscheinen insofern besonders Fälle, in denen Überlassungen über einen längeren Zeitraum erfolgen und/oder direkt mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses. Etwaige Gründe für eine Überlassung sollten sorgfältig dokumentiert werden.
Greift das Konzernprivileg nicht, sind die Vorgaben des AÜG vollumfänglich anwendbar. In der Folge benötigt das Verleihunternehmen eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, der Einsatz ist ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen und es ist eine Höchstüberlassungsdauer einzuhalten. Wurde fälschlicher Weise von der Anwendbarkeit des Konzernprivilegs ausgegangen, handelt es sich um eine unwirksame Arbeitnehmerüberlassung, sodass ab dem für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen Mitarbeitendem und dem Entleihunternehmen als zustande gekommen gilt. Das Entleihunternehmen hätte dann folgerichtig auch Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen, was es in aller Regel nicht getan haben wird, weil es – aufgrund der irrigen Annahme der Anwendbarkeit des Konzernprivilegs – ja gerade nicht von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen ist. Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist ein Straftatbestand (§ 266a StGB). Im Übrigen stellt auch die Überlassung ohne Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG dar und kann mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 € geahndet werden.
