ArbG Freiburg, Urteil vom 20.10.2024 – 2 Ca 230/24
Das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.06.2022 (Az B 12 R 3/20 R) erregte viel Aufsehen: Eine Musikschullehrerin, die auf Honorarbasis tätig war, wurde als abhängig beschäftigt eingestuft und unterlag somit der Sozialversicherungspflicht. Das bedeutet indes nicht automatisch, dass sie auch Arbeitnehmerin im Sinne des § 611 a Abs. 1 BGB ist. Auch wenn Arbeitnehmer regelmäßig sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sind Beschäftigten- und Arbeitnehmerbegriff nicht identisch, sondern zwei selbständige Rechtsinstitute. Das Arbeitsgericht Freiburg hat sich zuletzt in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt mit dieser Thematik beschäftigt
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall stritten die Parteien über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und die Erteilung eines Zeugnisses. Der Kläger, Domkapellmeister an der Domsingschule, wehrte sich gegen zwei Kündigungen der Beklagten vom 02.07.2024 und vom 12.07.2024. Der Beklagte ist eine rechtlich selbstständige kirchliche Stiftung öffentlichen Rechts und Träger der Dommusik und Domsingschule. Der Kläger ist während seiner Tätigkeit für den Beklagten für die gesamte vokale Kirchenmusik am Münster verantwortlich gewesen. Laut dem Kläger waren neben festangestellten Mitarbeitern diverse Personen auf Honorarbasis für die Domsingschule tätig. Die Honorarkräfte seien als Arbeitnehmer anzusehen, so dass der Beklagte mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftige und das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung gelange.
Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das Arbeitsgericht Freiburg wies die Klage im Hinblick auf die beiden Kündigungen als unbegründet ab. . Die Kündigung vom 12.07.2024 habe das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2025 beendet. Insbesondere finde das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, da der Beklagte als kleine Einheit den Schwellenwert von mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmern gemäß § 23 Abs. 1 KSchG nicht überschreite. Die auf Honorarbasis tätigen Personen seien keine Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG. Der Arbeitnehmerstatus ergebe sich nicht zwangsläufig aus den Umständen der Tätigkeit eines Musikschullehrers. Auch die Ausübung von Leistungsbestimmungs- und Kontrollrechten in einem Dienstvertrag führe nicht zwingend zu persönlicher Abhängigkeit. Das Herrenberg-Urteil stehe dieser Bewertung nicht entgegen. Dieses Urteil verhalte sich nämlich zum sozialversicherungsrechtlichen Status einer Musikschullehrerin – und nicht zu deren arbeitsrechtlichem Status. Auch wenn Arbeitnehmer regelmäßig sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien, seien Beschäftigten- und Arbeitnehmerbegriff nicht identisch, sondern zwei selbständige Rechtsinstitute. Nach der Legaldefinition des § 7 I 1 SGB IV sei Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Formulierung „insbesondere“ zeige an, dass sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses möglich sei. Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht verfolgten unterschiedliche Zwecke und müssten deshalb keinen identischen Geltungsbereich haben. So beruhe die arbeitsgerichtliche Entscheidungspraxis im Wesentlichen darauf, dass der privatautonomen Entscheidung der Vertragsparteien im Arbeitsrecht eine besondere Bedeutung beigemessen werde. Die Sozialversicherung diene hingegen neben der sozialen Absicherung des Einzelnen auch dem Schutz der Mitglieder der Pflichtversicherungssysteme, die in einer Solidargemeinschaft zusammengeschlossen sind. Dementsprechend relativiere das BSG just im Herrenberg-Urteil gerade bei Dienstleistungen höherer Art die Bedeutung der Weisungsfreiheit für das Vorliegen einer Beschäftigung, sondern stellt maßgeblich auf ein eigenes unternehmerisches Handeln mit entsprechenden Chancen und Risiken ab. Dieses Kriterium spiele für die Bestimmung eines Arbeitsverhältnisses indes allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dies auf die jeweiligen Einzelfälle angewandt ergäbe, dass die Musiklehrer keine Arbeitnehmer seien.
Fazit
Das Herrenberg-Urteil des BSG, wonach Musikschullehrer regelmäßig als Beschäftigte gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV anzusehen sind, kann laut Arbeitsgericht Freiburg nicht pauschal auf arbeitsrechtliche Sachverhalte übertragen werden. Es zeigt sich daher auch mit dieser Entscheidung, dass der Arbeitnehmerstatus weiterhin vom Einzelfall und dem Grad der persönlichen Abhängigkeit abhängt. Trotz Überschneidungen sind der Arbeitnehmer- und der Beschäftigtenbegriff nicht identisch, da Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterschiedliche Ziele verfolgen. Die arbeitsrechtliche Praxis legt Wert auf die private Autonomie der Vertragsparteien, während die Sozialversicherung dem Schutz der Versichertengemeinschaft dient. Klare Regeln und Konturen fehlen der Abgrenzungsdogmatik indes und hier hilft auch das Arbeitsgericht Freiburg nicht maßgeblich weiter. Es bleibt eine Einzelfallentscheidung. Im Hinblick auf den nach dem Herrenberg-Urteil unsicheren sozialversicherungsrechtlichen Status von Lehrpersonal hat der Gesetzgeber versucht Abhilfe zu schaffen und mit § 127 SGB IV eine Übergangsregelung eingeführt, die bis bis zum 31. Dezember 2026 gilt. Diese ermöglicht, dass eine Versicherungspflicht bei Lehrtätigkeiten als abhängige Beschäftigung erst ab dem 1. Januar 2027 beginnt, sofern die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Lehrtätigkeit ausgegangen sind und die beschäftigte Person dokumentiert zustimmt.
