LSG Berlin-Brandenburg (9. Senat), v. 29.05.2024, L 9 BA 20/21
Wie wichtig die Differenzierung zwischen echter Selbstständigkeit und versteckter Scheinselbstständigkeit im Sinne einer abhängigen Beschäftigung ist, verdeutlicht erneut eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Darin wurde bei einem Bauarbeiter eine abhängige Beschäftigung angenommen und in der Folge das Unternehmen zu einer Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen in Höhe von rund 26.550 € verpflichtet.
Sachverhalt
Es geht um Beitragsnachforderungen der Beklagten in Höhe von 20.937,73 € in der Zeit vom 1. April 2013 bis zum 30. Juni 2015. Es handelt sich bei der Klägerin um ein Bauunternehmen mit dem Schwerpunkt der Gebäudesanierung und -umbauten. Bauarbeiten erledigt die Klägerin teilweise mit festangestellten Mitarbeitern und teils auch mit Dritten, die bei Bauvorhaben projektweise hinzugezogen werden und nach dem Willen der Klägerin als selbstständige Subunternehmer gelten sollen. Der Beigeladene war bis ins Jahr 2004 festangestellter Mitarbeiter der Beklagten. Ab 2007 gehörte er zur Gruppe derer, die projektweise für die Klägerin tätig wurden. 2007 meldete der Beigeladene ein Gewerbe für die Tätigkeiten „Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Abrissarbeiten und Entsorgung, Bauhilfsarbeiten, Hausmeisterservice“ an. Als Betriebsstätte nannte er seine Wohnung. Mit Gewerbeummeldung im Jahr 2008 erweiterte er sein Gewerbe um die Tätigkeiten „Trockenbau, Schrottannahme“ und gab erneut seine Wohnung als Betriebsstätte an. Der Beigeladene erhielt im Zeitraum zwischen dem 1. April 2013 und dem 30. Juni 2015 regelmäßige pauschale Zahlungen von der Klägerin. Die Tätigkeiten für die Klägerin machten etwa 50 % seiner Gesamttätigkeit aus.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen handelt. Nach erfolgter Anhörung forderte die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2016 von der Klägerin für den Prüfzeitraum vom 1. April 2013 bis zum 30. Juni 2015 Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 26.550 €, einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 5.613 €.
Entscheidung
Nachdem bereits das zuständigen Sozialgerichts in erster Instanz die Klage gegen den Bescheid vom 15. November 2016 abgewiesen hatte, bestätigte auch das Landessozialgericht die Rechtmäßigkeit des Bescheids. Der Nachzahlungsanspruch hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge wurde bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob der Beigeladene tatsächlich als selbstständiger Unternehmer oder vielmehr im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses für die Klägerin tätig war. Das Landessozialgericht hat hierzu unter Heranziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls dargelegt, welche Merkmale für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechen. Entscheidend war insbesondere die Eingliederung des Beigeladenen in die betriebliche Organisation der Klägerin. Zwar stelle ein bloßer Abstimmungsbedarf auf Baustellen, der aus sachlich-technischen Zwängen resultiert, für sich genommen noch kein hinreichendes Indiz für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis dar. Im vorliegenden Fall sei der Beigeladene jedoch funktional in ein arbeitsteiliges Team eingebunden gewesen und sei nach außen nicht als eigenständig am Markt agierender Unternehmer aufgetreten. Die Verwendung von Material, das regelmäßig von der Klägerin gestellt wurde, sowie die gemeinsame Ausführung der Arbeiten mit anderen Beschäftigten der Klägerin und der fehlende Einsatz eigenen Personals sprachen nach Auffassung des Landessozialgerichts ebenfalls gegen eine selbstständige Tätigkeit. Die Tätigkeit sei vielmehr durch eine enge Abstimmung und geringe unternehmerische Gestaltungsfreiheit geprägt gewesen. Darüber hinaus sei der Beigeladene keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen, da weder besondere Investitionen noch ein signifikantes Gewinn- oder Verlustrisiko vorlag. Die regelmäßige Vergütung in Form pauschaler Zahlungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts dienten, verdeutlichte aus Sicht des Landessozialgerichts die wirtschaftliche Abhängigkeit.
In der Gesamtschau dieser Umstände kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorlag, mit der Folge, dass die Klägerin zur Entrichtung der entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet war.
Fazit
Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg verdeutlicht ein weiteres Mal die engen Grenzen bzw. die hohen Anforderungen, im Rahmen derer echte Selbstständigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne denkbar ist. Auch in diesem Zusammenhang ist wieder zu betonen, dass es nicht auf die vertragliche Bezeichnung oder die Gewerbeanmeldung ankommt, sondern auf die tatsächliche Durchführung der Tätigkeit im Einzelfall. Bei einem regelmäßigen Einsatz von externen Fachkräften sollt darauf geachtet werden, dass die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung präzise und realitätsnah vorgenommen wird.
Insbesondere wenn Subunternehmer regelmäßig, weisungsgebunden, in betriebliche Abläufe integriert und wirtschaftlich abhängig tätig werden, droht die Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Fehlt ein unternehmerisches Risiko, eigene Betriebsmittel oder ein marktaktives Auftreten, so spricht dies mit erheblichem Gewicht gegen die Selbstständigkeit. Es sollte deshalb nicht nur auf eine formal korrekte Vertragsgestaltung geachtet werden – die allenfalls als Indiz für die Frage der abhängigen Beschäftigung herangezogen werden kann –, sondern auch eine Dokumentation der tatsächlichen Arbeitsbedingungen erfolgen, um im Prüfungsfall entlastende Nachweise führen zu können.
